Fliesen, Kacheln oder Platten?
Aktuellen Definitionen zum Trotz werden die Begriffe Fliese, Kachel und Platte oft synonym verwendet. Bei historischen Bauprodukten sind die Grenzen unscharf und auch umgangssprachlich scheinbar beliebig.
PLATTE
Die Platte ist ein in vielen Sinnzusammenhängen eingesetztes Wort, welches ursprünglich aus dem griechischen stammt – πλατύς. Über das vulgärlateinische plattus ist es in unsere Sprache (mittelniederdeutsch: platt) gekommen. Es beschreibt ein Objekt, welches im Vergleich zu allen anderen Dimensionen eine geringe Stärke aufweist. Im Falle römischen Pflasters also die Steine, welche nicht würfelartig, sondern großflächig und flach waren.
FLIESE
Das Wort Fliese (von mittelniederdeutsch: vlīse) hat sich zum Ende des 17. Jahrhunderts etabliert. Es steht für eine kleine und vor allem dünne Steinplatte. Weitere Etymologische Verwandtschaften zeigen, dass es hier um einen Spalt- oder Splitterteil einer Platte mit geringer Stärke geht.
KACHEL
Kachel (von mittelhochdeutsch: kachele) beschreibt einen tönernen Scherben in Topf- oder Pfannenform und geht zurück bis auf das griechische κάκκαβος – aus dem sich das vulgärlateinische cacculus entlehnt ist. Diese Pfannenform lässt sich gut auf den Rückseiten von Ofenkacheln sehen.
Begriffswirrwarr im 19. Jahrhundert – ein Erklärungsversuch
Man versetze sich in eine Phase technischer Neuerungen und damit einhergehend steter Entwicklung von bis dato unmöglichen Produkten, für die bereits vorhandene Bezeichnungen entlehnt werden mussten. Die händische Herstellung einfacher Keramiken aus plastischer Tonmasse war bekannt, die Begriffe Bodenplatte oder Gehwegplatte hierfür etabliert. Die mechanische Pressung von Tongranulaten ab etwa 1850 hätte geringere Aufbauhöhen erlaubt, auf dieser Möglichkeit lag aber zunächst nicht das Augenmerk. Die durch Villeroy & Boch eingeführte Begriff Mosaikplatte betont stattdessen die neuen Möglichkeiten zur vielfarbigen Oberflächengestaltung mit Reliefmuster, welches den Effekt eines Mosaikbodens mit dem wirtschaftlichen Umgang von Bodenplatten vereint. Der historischen Vorlage entwachsen entstanden schnell auch mehrfarbige Bodenplatten ohne Reliefstruktur und der Begriff der Mosaikplatte war nicht mehr passend. Umgangssprachlich etablierte sich nun die Mettlacher Platte als Referenz auf das erste Werk, welches diese Produkte herstellte.
Auch keramische Wandbeläge trugen zunächst den Titel glasierte Wandplatte. Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten schwenkten hier in Deutschland zum Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere die Ofen- und Schamottsteinbauer um. Aus plastischen Oberflächen von Ofenkacheln entlehnt, entwickelten sich so Wandplatten mit Reliefoberflächen. Diese waren so weit ausgeprägt, wie es die industrielle Trockenpressung erlaubte. Als Unterscheidungsmerkmal zur Wandplatte mit flacher Oberfläche diente das Wort Wandkachel.
Durch hohe Einfuhrzölle waren die wachsenden deutschen Produzenten weitestgehend auf den deutschen Markt limitiert. Da sich die Höhe der Zölle – insbesondere nach Österreich – nur nach Volumen und Gewicht orientierten, wurden die Platten entsprechend schmaler. Wandplatten schwanden etwa von 15mm bis auf 6-8mm. Um diese Entwicklung zu verdeutlichen, etablierte sich der Begriff der Fliese als schmalerer Anteil einer Platte. In der Folge waren alle drei Begriffe – Platte, Kachel und Fliese im Einsatz und dienten bis zur Klärung durch eine DIN im Jahr 1956 eher lose der Verdeutlichung von bestimmten Merkmalen.
Diese Übergänge und Entwicklungen der Begriffe waren natürlich nicht homogen und wurden auch nicht stringend über alle Hersteller und Regionen hinweg eingehalten. In der Schweiz und angrenzenden Gebieten wird noch heute von Plättli gesprochen, im Süddeutschen Raum ist die Kachel noch immer ein akzeptiertes Synonym für die Fliese. Im Niederländischen gehen die Begriffe Fliese und Kachel im selben Wort Tegel auf, wohl da auch die Delfter Fliesen hier eine eher langgestreckte Entwicklung von der voluminösen Kachel zur flachen Fliese durchlebten und die Unterscheidung daher nie nötig machten.